Ist der US-Stahlmarkt mit seinen hohen Strafzöllen Vorbild für Europa?

07.06.16

Ist der US-Stahlmarkt mit seinen hohen Strafzöllen Vorbild für Europa?

Geht es um die Verhängung von Strafzöllen, wird Amerika von der europäischen Stahlindustrie gerne als Vorbild genannt. Das US-Handelsministerium hat zehnmal so hohe Strafzölle auf Stahlprodukte aus China verhängt wie die EU-Kommission. Angesichts der schwachen Produktivität der US-Wirtschaft deutet vieles daraufhin, dass sich die in Washington regierenden Demokraten ein Eigentor geschossen haben.

Auf kaltgewalzte Stahlerzeugnisse chinesischer Herkunft verhängten die Amerikaner Strafzölle von 266%. Darüber hinaus erhöhte man im Dezember 2015 vorläufige Strafzölle für einen breiten Fächer chinesischer Stahlimporte von 227% auf 256%. Dahingegen sehen unlängst von der EU-Kommission verhängte Strafzölle auf Betonstahl aus China von 18,4-22,5% mickrig aus.

Inzwischen ist der US-Stahlmarkt einer der hochpreisigsten der Welt. Der Stahlpreis für das oft als Referenzprodukt herangezogene Warmband kletterte in den USA zuletzt auf 671 US-Dollar je metrischer Tonne. Bei einem EUR/USD-Wechselkurs von 1,14 ergibt sich ein Warmbandpreis von 589 Euro. Das sind 173 Euro mehr als in Nordeuropa, wo stahlverarbeitende Unternehmen für Warmband lediglich 416 Euro bezahlen.

Produktivität

Um die stahlverarbeitenden Unternehmen geht es: Die Produktivität von US-Unternehmen sank im ersten Vierteljahr um 0,6% gegenüber dem Vorquartal, während sich die Lohnstückkosten um 4,5% erhöhten, teilte das US-Arbeitsministerium heute mit. Man muss nicht Volkswirtschaftslehre studiert haben, um zu erkennen, das es hier ein Problem gibt.

Steigen die Löhne stärker als die Produktivität, dann führt das neben sinkende Unternehmensgewinnen und einem langfristigen Wegfall von Arbeitsplätzen zu einer Situation, in der die USA ihr ohnehin schon sehr hohes Handelsbilanzdefizit weiter vergrößern. Das steht im Kontrast mit der von der Obama-Regierung angestrebten Reindustrialisierung.

Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen. Genau das tut aber Präsident Obamas Finanzminister Jack Lew, der regelmäßig um die Welt tingelt und von Ländern wie Deutschland und China fordert, ihren Konsum mithilfe von Steuersenkungen anzukurbeln. Die Demokraten glauben, dadurch würden mehr amerikanische Produkte im Ausland verkauft.

Das scheint ein großer Irrglaube zu sein, womöglich handelt es sich nur um ein Manöver, um vom US-Produktivitätsproblem abzulenken. Denn ein stahlverarbeitendes US-Unternehmen ist auf dem Weltmarkt chancenlos, wenn es bei einer sinkenden Produktivität und steigenden Löhnen um 40% höhere Stahlpreise zahlen muss als ein europäisches.