Strom billig, Stahl teuer: Preisversagen am deutschen Markt
Deutschland ist eine Hochpreisinsel für Betonstahl. Während der Tonnenpreis hierzulande aktuell bei 690 Euro liegt, zahlen Abnehmer in Italien nur etwa 580 Euro. Eine Differenz von 110 Euro – und das, obwohl die Produktionsbedingungen in Deutschland teilweise sogar günstiger sind. Der Strompreis, der größte Kostenfaktor bei der Betonstahlherstellung, lag im April 2025 in Deutschland bei 78,50 Euro* pro Megawattstunde – in Italien hingegen bei 101 Euro. Hohe Betonstahlpreise sind also nicht durch höhere Produktionskosten erklärbar, sondern Ausdruck struktureller Marktprobleme.
Der Betonstahlmarkt in Deutschland ist hoch konzentriert. Kleine und mittlere Hersteller sind kaum noch präsent. Die wenigen verbliebenen Großanbieter – wie die Riva-Gruppe, Badische Stahlwerke und Feralpi Riesa – dominieren den Markt und haben es vergleichsweise leicht, die Preise trotz schwacher Nachfrage unverhältnismäßig hoch zu halten. Wettbewerb findet nur noch eingeschränkt statt. Das ermöglicht stabile Margen, auch bei sinkender Nachfrage.
Ein zentrales Element ist das deutsche Kurzarbeiterrecht. Es erlaubt Unternehmen, bei schwächerer Auslastung Arbeitszeit zu reduzieren, während die Bundesagentur für Arbeit einen Großteil der Lohnkosten übernimmt. Was ursprünglich als Instrument zur Arbeitsplatzsicherung gedacht war, dient in einem von Oligopolen geprägten Markt zunehmend als Risikopuffer für große Unternehmen.
Nicht so wie es sein soll
In Zeiten starker Nachfrage bauen Hersteller ihre Kapazitäten aus, um möglichst viel Umsatz zu erzielen. Wenn sich das Marktumfeld eintrübt, werden diese Kapazitäten jedoch nicht im nötigen Maße zurückgefahren. Das Kurzarbeitergeld wirkt wie ein staatlich finanziertes Sicherheitsnetz: Fixkosten lassen sich abfedern, strukturelle Anpassungen werden aufgeschoben. Die Unternehmensleitung (der so genannte dispositive Faktor) macht das Gegenteil dessen, was Studenten in den Standardwerken wie Einführung in die Allgemeine Betriebswirtschaftslehre auswendig lernen.
Preiskorrekturen bleiben aus. Gleichzeitig verdrängt diese Struktur potenzielle kleinere Anbieter, die weder über Marktmacht noch über vergleichbare staatliche Einflussmöglichkeiten (Drohung von Stellenabbau) verfügen. Die Betonstahlpreise bleiben hoch – nicht, weil es die Marktlogik verlangt, sondern weil staatliche Regeln in einem konzentrierten Markt unbeabsichtigt preisstützend wirken.
Das Ergebnis ist ein klassisches Markt- und Preisversagen, das letztlich den Bausektor belastet. Die Einkaufspreise der Bauunternehmen sowie die von Subunternehmern in Rechnung gestellten Preise stiegen im April den zweiten bzw. dritten Monat in Folge. Gleichzeitig hat sich der Stellenabbau im Baugewerbe beschleunigt, zeigt der Einkaufsmanager-Bericht von S&P Global. Die Kosten zogen so kräftig an wie seit vierzehn Monaten nicht mehr.
*Electricity prices in Europe fell significantly in April, GMK Center, 08.05.2025